Gruß zum Sonntag -
Gruß zum Sonntag Jubilate am 11.05.2025
von Propst Faehling
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn, Jesus Christus. Amen.
Gestatten? Ich bin die „Weisheit“!
22 Mich hat der HERR von Anfang an bei sich gehabt:
schon vor seiner großen Schöpfung.
23 Von Ewigkeit her gibt es mich:
von Anfang an: bevor die ganze Erde ward.
24 Die große Tiefe existierte noch nicht,
da war ich schon geboren.
Und auch die Quellen waren noch nicht da,
aus denen alles Wasser fließt.
25 Aber ich – ich war schon da: vor allen Bergen und Hügeln.
26 Ich war da, bevor Gott die Erde schuf:
Ich war da, als es noch keinen Ackerboden gab2.
27 Schon da war ich, als Gott die Himmel schuf
und als er über der Tiefe den Erdkreis gründete.
28 Schon da war ich, als er die mächtigen Wolken schuf
und die Brunnen der Tiefe.
29 Und schon da war ich auch, als er dem Chaosmeer die Grenzen setzte
und den Wassern auf Erden ihren Ort zuwies4.
Ja, ich war da, als Gott die Erde gründete.
30 Und immer schon war mein Ort bei Gott.
Und täglich hat Gott seine Freude an mir gehabt,
31 wie ich da auf seinem Erdkreis herumgegeistert bin
und mein Spiel getrieben habe mit den Menschenkindern.
Und darum sage ich jetzt auch:
32 Hört auf mich, ihr Menschenkinder!
Hört auf die Weisheit!
Folgt meinen Wegen, und es geht euch gut.
33 Nehmt meine Zurechtweisung an, und ihr werdet weise.
Schlagt meinen Rat nicht in den Wind.
34 Wohl allen, die Tag für Tag nach der Weisheit streben.
35 Denn wer die Weisheit findet, der findet das Leben
und geht ein in die Liebe Gottes.
36 Wer aber mich links lässt,
der zerstört sein Leben.
Denn alle, die mich hassen,
die suchen im Grunde genommen den Tod.
Schon vor der Schöpfung war etwas bei Gott.
Das ist ein Gedanke, dem ich Raum geben möchte.
Vor der Schöpfung?
Tatsächlich. Vor dem ersten Tag, vor dem Urknall, vor Adam und Eva, vor allem – war die Weisheit bei Gott.
Weisheit – ich stelle mir das als etwas Großes und Schönes vor. Weisheit, das ist mehr als Klugheit, als Intelligenz und natürlich auch mehr als Cleverness.
Weisheit, ich umkreise dieses Wort, und stelle es mir tiefgründig und himmelweit vor – und das, bevor es überhaupt die Tiefe und den Himmel gab.
Skuril.
Ich kenne ja schon lange den Gedanken, dass die Liebe schon ein Teil Gottes war, bevor die Welt entstand; nun also auch die Weisheit.
Ich ahne: Die Bibel will uns erzählen, dass Gottes Handeln schon immer eine besonders weite Dimension hatte.
Gott als Schöpfer wird ja von der Bibel immer wieder handwerklich beschrieben, wie ein Töpfer z.B.
Theologisch gab es lange und gibt es vielleicht noch Streit, ob er die Dinge eigentlich aus dem Nichts geschaffen hat, oder ob vorher schon etwas war. Und natürlich kommen die Anhängerinnen der Evolution und des Urknalls letztlich auch ohne Gott aus – nicht erklärend allerdings, wie es denn dann gewesen sein soll.
Ich selbst komme je länger ich über all das nachdenke und eben auch predigte, immer mehr zu der Idee, dass wohl ganz unbedingt etwas dagewesen sein müsste, eine Kraft, eine Energie, eine Macht, was auch immer, die das Geschehen der Entstehung der Welt anwesend begleitet hat.
Da war schon immer eine höhere Idee.
Da war schon immer eine Urkraft, eine Urliebe.
Dass dieses unfassbare immense Gesamtkunstwerk Leben sozusagen ein Zufallsgeschehen war, ist weder glaubwürdig, noch sinnvoll – es sei denn, man will gegen Gott streiten.
Ja, und es gab Streit gegen Gott. Und ich kann den sogar nachvollziehen. Der stammt nämlich vor allem aus einer Zeit, als das Machtstreben der Kirche von vernünftig denkenden Menschen verlangte, dass sie die Glaubensaussagen der Kirche notfalls höher ansetzen als die eigene Vernunft.
In der Aufklärung, Ende des 18. Jahrhunderts, viel dichter am Mittelalter, an der Inquisition und an den Streitigkeiten während und nach der Reformation entstand freies Denken wie eine Freiheitsbewegung weg von den Behauptung der institutionellen Kirche und ihrer Deutungsmacht…
Heute sind wir meines Erachtens weiter. Als Kirche bedauern wir manchmal, dass wir scheinbar wie bedeutungslos geworden sind. Dabei wird meines Erachtens immer deutlicher, dass zwar die institutionelle Bedeutung der Kirche schwindet, also die Macht der Kirche, Normen zu setzen und sagen zu dürfen, wer dazugehört und wer nicht.
Aber die Aufgabe, das Leben zu deuten, Seelsorge zu leisten, den Menschen in dieser verwirrenden und komplizierten Welt zu helfen, einen eigenen Weg zu finden und zu gehen, die ist nach wie vor groß und bedeutsam.
Mit anderen Worten: Gott wird immer wichtiger. Die Kirche wird immer zweitrangiger. Ja, wir brauchen das Netzwerk, ja, wir brauchen die Seelsorge- und Hilfsangebote; Ja, wir brauchen den Austausch zum Glauben, die Ausbildung von Halt und Haltung. Aber wir brauchen immer weniger den Wettbewerb unter den Kirchen und Religionen. Wir brauchen in einer so irritierten Welt immer weniger Götter, die konkurrieren. Wir brauchen vielmehr einen liebenden und weisen Gott, der schon immer und für immer der Welt Halt und Haltung und Rettung gibt.
Zurück zur Weisheit, die schon immer da war, sogar schon vor der Erschaffung der Welt.
Ich musste bei der Vorbereitung der Predigt an einen meiner Lieblingstheologen denken, Eugen Drewermann. Ich habe von ihm gelesen. Ich habe auf Kirchentagen seine Bibelarbeiten erlebt. Ich habe auch mitbekommen, wie er von einem seiner damaligen Päpste die Lehrerlaubnis an der katholischen Hochschule entzogen bekam. Zu modern war er, zu weit weg von der Tradition der katholischen Kirche.
Von ihm habe ich ein wunderbares Bild, wie man sich modernen Glauben vorstellen kann, obwohl Gott schon so lange da ist und die Bibel schon mehr als zweitausend Jahre Überlieferung in sich trägt.
Drewermann hat einmal die Wahrheit Gottes wie einen unterirdischen Grundwasserfluss beschreiben. Er hat das regelrecht gezeichnet.
Wie eine Wasserebene unter aller Zeit unter allem Leben hat er das beschrieben. Und jede Zeit bohrt sozusagen ihre eigenen Brunnen in die Erde – immer heute. Und trotzdem heute gebohrt wird, zapft jeder in der Tiefe die Urflut der Überlieferung, der Weisheit Gottes an.
Und auf einmal passen das Drewermannbild und der Bibeltext übereinander. Schon immer war die Weisheit da, sogar schon vor der Erschaffung der Welt. Schon immer ist sie da. Und zugleich ist sie, wenn wir heute unseren Brunnen in die Tiefe des Lebens graben, die Quelle, zu der wir vorstoßen und aus der wir schöpfen.
Und auf einmal ist da eine lebendige Verbindung aus uns heute und all der uralten Weisheit Gottes und des Lebens, die wir ganz unbedingt brauchen, wenn wir das Heute bestehen und überleben wollen.
Und davon gibt es soviel: Das Leben ist gerade jetzt in höchst anstrengender und z.T. furchterregender Weise durchsetzt von Nicht-Weisheit, von kurzsichtigen, gerade zu dumm erscheinenden Handlungen, weltweit, Krieg, Zollstreit, Machtkonkurrenz, Lieblosigkeit. Völker lassen einander verhungern, zerbomben einander, verheddern sich in sinnlosen Gewaltspiralen.
Und es wäre so, so wünschenswert, die uralte, vorgeburtliche, vor-schöpferische Weisheit, die mit Gott zusammen dem Leben dienen will, würde gehört, empfangen, ins Leben einsortiert, weitergegeben.
Es ist wahr, was im Predigttext steht:
36 Wer aber mich links lässt,
der zerstört sein Leben.
Denn alle, die mich hassen,
die suchen im Grunde genommen den Tod.
Die Einladung zum Gegenteil ist damit ausgesprochen: Gott zu vertrauen und damit einer Weisheit, die schon vor aller Zeit seine Begleiterin war und das Leben rettet und gestaltet.
Amen.
P.S. Hier steht der Gruß zum Sonntag als PDF zum Download bereit!