Gruß zum Sonntag
Gruß zum 2. Sonntag nach Epiphanias am 19. Januar 2025
von Propst Faehling
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn, Jesus Christus. Amen.
Röm 12, 9-16
9 Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an. 10 Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor. 11 Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist. Dient dem Herrn. 12 Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet. 13 Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft. 14 Segnet, die euch verfolgen; segnet, und verflucht sie nicht. 15 Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden. 16 Seid eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch zu den niedrigen. Haltet euch nicht selbst für klug.
„Haltet euch nicht selbst für klug.“
Es gibt so eine Gruppe von Menschen, liebe Gemeinde, die ist in der Gesellschaft für mein Erleben sehr verbreitet. Und zwar sind das Menschen, die bei jeweiliger Gelegenheit betonen, dass sie ja alles richtig gemacht haben.
Diese Menschen gibt es in der Kirche und in der Politik, die gibt es ortsnah und bundes- und weltpolitisch, die gibt es in Beziehungen und Familien.
Ich weiß gar nicht, was Du willst, ich habe doch alles richtig gemacht. In der Politik finde ich das gerade besonders dramatisch. Zu Recht hat Herr Lindner den Ausstieg aus der Koalition vorbereitet, zu Recht hat der Kanzler ihn entlassen, zu Recht will Friedrich Merz den Aufstieg kleiner Paschas verhindern, zu Recht will Frau Weidel die Windräder niederreißen, zu Recht will Frau Wagenknecht Russland nicht mehr sanktionieren und den Grünen fällt auch noch etwas ein.
Am vergangenen Sonntag hat im ARD Presseclub ein österreichischer Journalist den derzeitigen Wiener Oberbürgermeister zitiert, der nichts beteuerte, was er zu Recht gemacht hatte, sondern stattdessen den Menschen und sogar den politischen Gegnern zugehört hatte, und daraufhin das, was er für berechtigte Kritik an seiner Politik wahrnahm, in Veränderungen umgesetzt hat. Das Ergebnis war eine große Zufriedenheit in der Stadt.
Denn, wer sind wir denn, dass wir nicht immer noch anderen zuhören und von ihnen lernen müssten; und übrigens vielleicht am ehesten von unseren Widersachern, Gegnern, Streitbeteiligten; mehr oft, als von denen jedenfalls, die sowieso unserer Meinung sind oder uns gar nach dem Mund reden.
Und wer sind denn unsere Führenden, dass sie meinen, 20 bis 30% der wählenden Bevölkerung mit ihrer Meinung in die Ecke stellen zu können nach dem Motto, wir sind die Klügeren.
Ja, selbst wenn, hört doch den vermeintlich Unklugen zu und zwar möglichst so lange, bis ihr sie verstanden habt und dann noch einmal so lange redet mit ihnen, bis sie euch verstehen.
Nur damit das klar ist – ich habe das schon öfter gesagt: Ums Zuhören und Verstehen geht es mir, nicht um Verständnis haben oder gar in laxer Art tolerieren.
Und damit auch das klar ist: Die AfD ist für mich eine absolut unwählbare Partei. Wir dürfen nicht zulassen, dass Antisemitismus, Menschenverachtung und ein absolut crudes Welt- und Wertebild in unserem Land an die Macht kommt. Aber die Menschen, die diesen Rattenfängern nachlaufen, die will ich doch nicht aufgeben. Denen will ich nachlaufen, sie hören, sie überzeugen, sie zurückgewinnen. Und das noch nicht einmal aus politischen Erwägungen, um der Macht willen, sondern von dem her, was immer so leicht als christliches Menschenbild behauptet wird.
Christliches Menschenbild ist gar nicht leicht, aber es ist wichtig. Und übrigens, wie wir an diesem Text sehen können, christliches Menschenbild geht nicht davon aus, dass wir Christinnen immer alles richtig machen.
Christliches Menschenbild gründet sich auf Texte wie den von Paulus, der heute unser Predigttext ist.
Eure Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an. Einer komme dem anderen in Ehrerbietung zuvor. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet. Übt Gastfreundschaft. Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden.
Und!
Haltet euch nicht selbst für klug.
Gott hat eine unverbrüchliche Liebesbeziehung zu jedem Menschen – auch zu den Verlorenen, den Verbockten, den Fehlerbehafteten, zu allen.
Das ist keine süße Liebe, die die Fehler zudeckt.
Das ist eine unverlierbare Liebe, die niemanden aufgibt.
Und vor allem ist es eine Liebe, die nicht besserwisserisch ist.
Es ist in alledem eine mühsame, eine herausfordernde Liebe. Sie liebt nicht, was und wo es leicht ist, sondern sie liebt bis in die Abgründe und in das Schreckliche.
Und für Abgründe und Schreckliches brauche wir gar nicht nur in den politischen Verhältnissen zu suchen. Da finden wir schon genug im Zwischenmenschlichen. Was geschieht nicht alles z.B. in Beziehungen und Familien, weil dort Menschen mit ihren eigenen oft komplizierten Vorgeschichten auf die stoßen, denen ebenfalls Schweres widerfahren ist. Wie oft zerstreiten sich Paare und Familien und Generationen, die eigentlich in Liebe verbunden waren und vielleicht noch sind, weil sie sich an der Vorderseite, am Sichtbaren ihrer Persönlichkeit mit Dingen begegnen, die unerträglich sind.
Wir bilden im Leben Masken aus, Fassaden. Und wenn wir uns dann an unseren jeweiligen Fassaden begegnen, reagieren wir darauf, als stünden wir dem wirklichen Menschen gegenüber.
Auf einen mürrischen Menschen z.B. reagieren wir, als sei er wirklich mürrisch. Wir versuchen oft gar nicht zu verstehen, was ihn grundsätzlich oder auch nur gerade jetzt zu einem Mürrischen geformt hat.
Noch einmal: Verstehen heißt nicht Verständnis haben. Ich muss seine Mürrischkeit nicht weglachen, oder immer ertragen. Aber vielleicht könnte ich fragen: … und was hat dich so mürrisch gemacht?
Ebenso geht es uns oft mit den Wütenden, Streitenden, Vorwerfenden. Wir reagieren schnell auf Wut, Streit und Vorwurf und fragen nicht, ob wir überhaupt richtig verstanden haben, fragen nicht nach dem Herkommen von Zorn, Streitlust und Schuldzuweisung. Wie oft aber gäbe es viel zu erfahren und zu verstehen.
Einer komme dem anderen in Ehrerbietung zuvor.
Ich glaube, Paulus spricht von einer Haltung, die mein Gegenüber nicht in Ecken stellt oder auf seine und ihre Fassaden reagiert. Paulus fordert mehr als nur Höflichkeit. Mit Tür aufhalten und Koffertragen und in den Mantel helfen ist es nicht getan.
Stattdessen braucht es Geduld, Interesse am Anderen und die Bereitschaft auch die für möglicherweise klug zu halten, deren Auftreten nervt, deren Meinung zunächst unmöglich vorkommt und deren Anwesenheit uns stört und hindert.
Folgen wir den Ideen des Paulus werden wir keine meinungslosen Weichspüler, keine allesliebenden Gutmenschen. Stattdessen werden wir tiefgründige, empathische und liebevoll am Gegenüber Interessierte, die das Motiv antreibt, die Herausforderungen des Lebens mit möglichst vielen anderen gemeinsam zu lösen. Und gemeinsam ist hier wiederum auch nicht als Inbegriff von Harmonie gemeint. Ich würde es eher Schwarmintelligenz nennen. Ich bin jedenfalls nie so klug, als das ich nicht von anderen noch lernen könnte.
Wer weiß, was geschieht, wenn wir das wie eine liebevolle – ein letztes Mal zitiere ich Paulus – Einladung in uns tragen.
Und dabei vor allem selbst zuhören.
Haltet euch nicht selbst für klug.
Amen.
P.S. Hier steht der Gruß zum Sonntag als PDF zum Download bereit!